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Man wage sich einmal vorzustellen…

Mit Gedankenspielen ist das so eine Sache. Natürlich braucht man sie, um Situationen zu durchdenken, ohne sie wirklich erleben zu müssen – für Diplomaten, Vermittler und viele andere gehört dies schon seit ewigen Zeiten zum normalen Handwerkszeug. Dumm nur, dass Vampire weder zu den großen Diplomaten oder Vermittlern und schon gar nicht zu den von Natur aus rücksichtsvollen Leuten gehören. Und so hatte sich die Tremere Lieblich eindeutig verkalkuliert, als sie diesen Abend ausrichtete. Eigentlich hatte sie es ja, nüchtern betrachtet, nur gut gemeint, als sie eine hypothetische Ämterverteilung in der Domäne Hamburg besprechen wollte, um die Mitglieder der Domäne endlich einmal aus ihrer unterträglichen Passivität zu reißen und sie dazu zu bringen, sich um die Ämter zu bewerben. Sicherlich eigentlich ein guter und notwendiger Schritt, aber da hatte sie die Rechnung ohne die Boshaftigkeit der Gäste und ohne die Tücken eines feudalen Systems gemacht. Denn auch wenn es nur symbolisch ist – kein Fürst kann es gut leiden, wenn andere in seinem Besitz die Ämter verteilen. Die Gäste wussten das und hatten kein großes Bedürfnis, sich an dem Gedankenspiel zu beteiligen, da sie keinen gesteigerten Wert darauf legten, dem Fürsten das hinterher erklären zu müssen. Besonders einem so entspannten und liebreizenden Fürsten.

Und so wurde der Abend bedauerlicherweise etwas statisch. Auf der einen Seite die Gastgeberin, auf der anderen Seite die ungekrönte Anführerin der Gäste, die Ventrue Roxane la Blanche. Gegen sie und alle ihre Unterstützer anzuargumentieren, fiel der Tremere trotz der Unterstützung durch ihren Clansbruder von Kronstadt sichtlich schwer – sie wollte aber auch keinen Schritt zurück machen, was den Abend noch mehr in einem ewigen Stellungskrieg gefangen hielt. Einziger Gast, der sich nicht groß beteiligte, war der Toreador Pereira, der an diesem Abend scheinbar in seinem Innern erneut einen Stellungskrieg ganz anderer Art durchlebte. Hatte der martialische Auftritt des neuen Ventrue Kris Wolf dies ausgelöst? Beinahe schon tragisch war, dass wieder niemand Notiz davon nahm, wie sehr sich Carlos im Griff hatte und dass er sich schon wieder gesellschaftsverträglich benahm – hier dankt einem eben niemand etwas, nur Fehler werden gern gesehen. Der Abend endete schließlich, wie er begann: Steif, geqüalt, übertrieben korrekt und für die Gäste sterbenslangweilig. Aber können sie sich beschweren? Wer geht schon freiwillig auf einen Tremere-Abend und will unterhalten werden?

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