Die Maskerade

Alle Vampire reden ständig davon – zumindest die der Camarilla. Aber was ist die Maskerade? Die Maskerade ist keine Institution, keine Gruppierung oder ähnliches. Nein, sie ist vielmehr eine Art Übereinkunft unter allen Mitgliedern der Camarilla (also nach Meinung der Camarilla allen Vampiren, ob sie wollen oder nicht). Eine Übereinkunft, die aus Vernunft und Angst heraus geboren wurde. Die Vernunft, anzuerkennen, dass es weit mehr Menschen als Vampire gibt und die Menschen die Vampire, wenn sie von ihrer Existenz wüssten, in kürzester Zeit auslöschen könnten. Natürlich ist der einzelne Vampir weit mächtiger als ein Mensch, manche Ahnen könnten sich sogar mit hohen Erfolgsaussichten gegen große, bewaffnete Massen wehren. Könnte man denken, aber wer das denkt, irrt sich. Die Vampire mussten in der Zeit der Anarchenrevolte die bittere Lektion lernen, dass ein geordneter Aufstand der Menschen gegen die Vampire mit ihrer Niederlage endete. Und es waren mitnichten nur die Jungen, die dem fackelschwingenden Mob zum Opfer fielen. Auch alte Ahnen fielen dem geballten Zorn der Menschen zum Opfer. Aus der Angst vor diesem Mob und der vernunftgeborenen Erkenntnis, dass man im Kampf keine Chance hat, entstand die Maskerade. Die Übereinkunft, dass die Menschen fortan nichts mehr von der Existenz der Vampire wissen dürften.

Vampire moderner Nächte haben, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen, weit mehr Grund zur Panik. Ein einfaches Beispiel: Wenn die Ahnen der Alten Welt sich vor Bauern mit Mistgabeln und Fackeln ergeben mussten, vor einem Mob, der meist nie zuvor eine Waffe gehalten hatte, wie sieht es dann heute aus? In einer Welt mit 7,4 Milliarden Menschen, Millionen professionell ausgebildeter Soldaten, ausgerüstet mit automatischen Waffen, Flammenwerfen, Napalm, Nachtsichtgeräten, Flugzeugen, Drohnen, Lenkraketen und Atomwaffen würden die Vampire noch viel schneller vernichtet sein als im Mittelalter. Sicher, die Menschen würden gewaltige Verluste erleiden, aber das hilft wenig. Was soll der ach-so-mächtige Bill Brujah oder Gerd Gangrel machen, wenn irgendwo über seinem Kopf eine Drohne schwebt, die ihn per Infrarotaufnahme klar als Vampir erkennt und die Daten einem Soldaten weitergibt, der eine Lenkrakete auf seinen Kopf fallen lässt? Antwort: Nichts. Daher ist die Maskerade heute viel wichtiger als noch früher.

Wie sie funktioniert? Auch das ist relativ einfach: Durch Angst. Da ein Bruch der Maskerade alle Vampire in Gefahr bringt, sind in der Theorie der Camarilla auch alle Vampire daran beteiligt, den Maskeradebrecher zu finden und zu richten. Und egal wie mächtig man ist, wieviele Freunde und Untertanen man hat, eine Lektion in der angsterfüllten Welt der Vampire gilt immer: Es gibt stets einen noch größeren Fisch.

Nach diesem einfachen Prinzip organisiert sich auch die konkrete Durchsetzung der Maskerade vor Ort. Jeder Ort der Welt hat (zumindest im Prinzip) einen Fürsten, der dieses Gebiet als das seine betrachtet. Damit ist er oder sie vor der Camarilla verantwortlich, dass die Tarnung intakt bleibt. Darum kümmert man sich als Herrscher nicht selbst, man delegiert. Es gibt in jeder Stadt die Person, die sich im Namen des Fürsten darum kümmert, Verdächtige verhaftet, alles überwacht, als (Geheim-)Polizei agiert. Ob dieses Amt sich Sheriff, Vogt, Friedensrichter oder sonstwie nennt, ist dabei unwichtig, die Kompetenzen sind meist gleich. Manche Städte, die zu groß sind, um von einer Person überwacht zu werden, stellen ihren Aufpassern noch Helfer zur Seite, häufig werden diese auch Geißeln genannt, die sich um die Arbeit auf der Straße kümmern. Schlaue Vögte haben auch ohnehin immer eigene Untergebene, die für sie Arbeiten erledigen. Und wenn es wirklich einen Bruch der Maskerade gibt, kann sich der Vogt eh auf alle Bürger verlassen, denn wer sich nicht bei der Beseitigung des Bruches und an dem Aufsammeln der Scherben beteiligt, wird in der Regel als Mitverantwortlicher gerichtet. Und das will niemand, denn auf jeden Bruch der Maskerade steht die Todesstrafe, Raubtiere in Panik kennen keine Gnade und im Bezug auf die Maskerade stehen die Vampire immer mit dem Rücken zur Wand. Selbstverständlich kann jeder Fürst und Vogt seinen Entscheidungsspielraum nutzen, um zu definieren, was jetzt ein Bruch und was nur ein Beinahe-Bruch war und sicherlich wird dabei den eigenen Verbündeten ein weit großzügiger Rahmen gesteckt als den Feinden. Aber zu großzügig darf man nicht sein, denn so mächtig die Fürsten auch sein mögen, das Prinzip des größeren Fisches gilt auch für sie. Nehmen wir an, ein Fürst deckt aktiv Verbündete in einem offensichtlichen Bruch der Maskerade, dann wird das irgendwann auch die höhere Ebene der Camarilla mitbekommen: die Archonten und Justikare. Nun könnten mächtige und alte Fürsten den offenen Kampf mit der Camarilla wagen, aber dafür brauchen sie wirklich gute Gründe, denn das ist eine sehr gefährliche Sache. Welcher Fürst würde sich für Neonaten oder Ancillae seines Vertrauens, und seien sie noch so wertvoll, mit den Justikaren anlegen? Mit Blick auf die derzeitigen Justikare hieße das unter anderem, sich mit Wesen anzulegen, die älter sind als die Camarilla, die noch atmeten, als das römische Reich existierte? Die jahrhundertealte Ahnen als ihre Archonten durch die Welt befehlen können? Nein, auch die Fürsten können sich da nichts erlauben. Daher wird kein Fürst Gnade walten lassen, wenn die erste Tradition verletzt wird. Er kann es nicht, will es nicht, wird es nicht.

Ein letzter Punkt vielleicht noch. Was ist ein Bruch der Maskerade? Da greift der beschriebene Defintionsspielraum, aber gewisse Dinge sind immer ein Bruch der Maskerade:

  1. Anwendung von Kräften des Blutes vor Menschen, insbesondere wenn Kameras im Spiel sind – hierzu zählen besonders alle körperlichen Disziplinen, nur Präsenz oder Beherrschung lassen sich schwerer nachweisen.
  2. Beweise der eigenen Vampirexistenz: Wer beobachtet wird beim Trinken, im Torpor, im Tagschlaf, seine Fangzähne zu offensichtlich zeigt, von Infrarotkameras mit Umgebunsgtemperatur aufgenommen wird oder bei dem der fehlende Herzschlag/die Atmung erkannt wird.
  3. Als Leiche einfach aufzustehen. Wer angeschossen wird, darf nicht einfach rumlaufen, das ist bei toten Menschen auch eher unüblich.
  4. Jedes äußere Anzeichen wie Tiermerkmale der Gangrel, jeder Nosferatu, Klauenverletzungen, Bisswunden und ähnliches.
  5. Jeder Kontakt mit dem noch sterblich existierenden Umfeld, das gilt auch für historisch bekannte Persönlichkeiten. Es ist eher ungünstig, wenn man im Museum neben dem eigenen Ölgemälde steht, die Erklärung könnte schwierig werden.
  6. Blutleere Leichen und andere Spuren eindeutig übernatürlicher Aktivität.
  7. Weiterhin alles, was der jeweilige Fürst für besonders schlimm hält. Es gab schon Justikarsedikte, dass jeder Vampir des Todes ist, von dem ein Foto existiert.

Daher ist es für jeden Vampir, der seine Existenz behalten will, das oberste Gebot, die Maskerade um jeden Preis zu wahren. (tn)

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